Sonderkulturbetrieben droht das Aus
Vor den Folgen einer Anhebung des Mindestlohns ohne Ausnahmen für ausländische Saisonarbeitskräfte hat der Badische Landwirtschaftliche Hauptverband (BLHV) gewarnt. Das von Bauernpräsident Joachim Rukwied ins Spiel gebrachte Modell, für Saisonarbeitskräfte mit Lebensmittelpunkt in anderen europäischen Ländern künftig 80% vom gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen, hält BLHV-Präsident Bernhard Bolkart für einen guten ersten Ansatz. Zentral ist für ihn zudem die Ausweitung der 70-Tage-Regelung auf 90 Tage für kurzfristig Beschäftigte.
Vor Journalisten stellte Bolkart am Montag (23.6.) in Freiburg klar, dass es dem landwirtschaftlichen Berufsstand nicht generell um die 15 Euro Mindestlohn in Deutschland geht. "Wer arbeiten geht, muss seine Familie ernähren können. Das ist auch mit 15 Euro in der Stunde schwer", betonte der BLHV-Präsident im Vorfeld der für diese Woche erwarteten Entscheidung der deutschen Mindestlohnkommission. Allerdings hält Bolkart Ausnahmen für ausländische Saisonarbeitskräfte für erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Sonderkulturanbaus nicht zu gefährden. "Hier braucht es eine klare Aussage der Politik", so der BLHV-Präsident.
Kein Problem besteht nach den Worten des ersten BLHV-Vizepräsidenten Egon Busam, was die Verfügbarkeit von Saisonarbeitskräften angeht. Aktuell kämen diese im Einzugsgebiet des BLHV insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, zu einem kleineren Teil auch aus Polen.
Gefahr eines Strukturbruchs
Sorge bereitet dem BLHV beim Thema Mindestlohn auch ein möglicher Strukturbruch. Bolkart erinnerte daran, dass bereits bei der letzten Mindestlohnerhöhung die Anbaufläche im Sonderkulturbereich in Südbaden zurückgegangen sei. "Ein gesetzlicher Mindestlohn von 15 Euro ist für viele bäuerliche Betriebe in Südbaden deshalb nicht mehr tragbar", betonte der BLHV-Präsident.
Nach seinen Worten fehlt dem Berufsstand zugleich Planungssicherheit und eine klare Aussage darüber, dass in Deutschland auch künftig Sonderkulturen angebaut werden sollen. Bolkart verwies hierzu auch auf die Themen Ernährungssicherheit und Selbstversorgung mit Lebensmitteln. Im Südwesten lag 2022/23 der Selbstversorgungsgrad laut der baden-württembergischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum (LEL) bei Gemüse bei nur 20%, während Obst ohne Zitrusfrüchte in diesem Bezugsjahr auf 35% kam. "Wer Ernährungssicherheit ernst nimmt, darf die Landwirtschaft nicht weiter steigenden Kosten aussetzen", warnte Bolkart. Viele Betriebe würden gerne vermehrt Sonderkulturen anbauen. Durch den hohen Arbeitskräfteeinsatz sei das aber nicht möglich.
Der "Mittelbau" bricht weg
BLHV-Vizepräsident Martin Linser zufolge lebt die Landwirtschaft in Südbaden traditionell von ihrer Vielfalt an unterschiedlichen Betriebsgrößen und Bewirtschaftungsformen. "Aktuell verlieren wir aber den Mittelbau", berichtete Linser, wozu er Gemüsebaubetriebe ab 2 bis 3 ha, Weinbaubetriebe von 5 bis 20 ha und Obstbaubetriebe mit 10 bis 20 ha Fläche zählt. Nach seiner Einschätzung ist es für kleinere Betriebe mit angeschlossener Direktvermarktung noch eher möglich, steigende Kosten abzufedern. Aber im Mittelbau seien Aufwand und Kosten inzwischen so hoch, dass künftig kaum noch Gewinne erwirtschaftet werden könnten. Linser rechnet deshalb mit einer Verlagerung der Bewirtschaftung auf die hochproduktiven Flächen. Dadurch gingen aber gerade die kleinteiligen Strukturen verloren, die sich positiv auf den Naturschutz ausgewirkt hätten. AgE