Trump hat sich verzockt
Von Jerzy Plewa, vormaliger Generaldirektor der Generaldirektion Landwirtschaft (DG AGRI) in der EU-Kommission:
US-Präsident Donald Trump hat einen Zoll-Tornado entfacht, mit dem er einmal mehr den Rest der Welt geschockt hat. Zuletzt kündigte der selbst ernannte Meister des "Deals", eine weitere Erhöhung der Zölle auf aus China importierte Waren um erstaunliche 125%. Das ist deutlich mehr als das 25-Fache des im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) vereinbarten Durchschnittszolls, der in den letzten Jahren zwischen 3% und 5% lag. Doch Trump war noch nie ein Freund von Statistiken oder internationalen Organisationen. Kürzlich haben die USA sogar ihre Beitragszahlungen an die Genfer Handelsorganisation ausgesetzt. Zur Erinnerung: wir reden über eine Institution, die die USA einst gemeinsam mit Partnern wie der EU, Kanada und Australien zur Stabilisierung und Liberalisierung des Welthandels mitbegründet hatten.
Ein solcher Zollschritt widerspricht klar den Grundprinzipien des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), das seit 1947 den globalen Handel regelt. Laut diesen Regeln muss jede drastische Zollanhebung durch eine Bedrohung der nationalen Sicherheit oder eine plötzliche Importflut gerechtfertigt sein, die die einheimische Produktion gefährdet.
Natürlich wäre Trump nicht Trump, wenn er dem Ganzen nicht eine Prise Spektakel hinzufügen würde. Er kündigte eine 90-tägige Aussetzung der Zollanhebungen für über 70 Staaten der Welt an. Währenddessen behielt er die erste Stufe bei: eine Zollsteigerung von 10% auf alle in die USA importierten Waren. Die am 12. März 2025 eingeführten Zölle von 25% auf Stahl und Aluminium bleiben in Kraft.
Die Reaktion Chinas folgte auf den Fuß: 125% Vergeltungszölle auf alle aus den USA importierten Waren, gültig ab dem 12. April 2025. Der französische Kaiser Napoleon Bonaparte riet einst: "Störe deinen Feind nie, wenn er dabei ist, einen Fehler zu machen." Offenbar hat Peking sich diesen Satz zu Herzen genommen.
Ein Déjà-vu
Schon in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 hatte Trump eine Zolloffensive gestartet - angeblich, um "Stahl und Aluminium aus den USA zu retten". 2018 verhängte er globale Zölle: 25 % auf Stahl und 10 % auf Aluminium, was eine starke Reaktion der Handelspartner hervorrief. Zusätzlich erhob er Sonderzölle auf chinesische Waren im Wert von über 350 Mrd. Dollar - darunter Elektronik, Maschinen und Textilien. Peking reagierte mit Gegenzöllen auf US-Agrarprodukte wie Soja, Schweinefleisch und Obst - ein harter Schlag für die amerikanische Landwirtschaft.
Die Europäische Union reagierte seinerzeit rasch, aber vorsichtig und ausgewogen mit Zöllen auf US-Produkte im Wert von 3,2 Mrd. Dollar darunter Bourbon Whiskey, Motorräder und Agrargüter. Zwischen 2018 und 2019 sanken die US-Agrarausfuhren um über 27 Mrd, wobei 71% der Verluste auf Soja entfiel. Und was tat Trump? Er bot den Farmern Entschädigungen an - rund 23 Mrd. $ zwischen 2018 und 2020 über das Market Facilitation Program (MFP). Die Folge: US-Verbraucher zahlten mehr, die Industrie importierte billigeren Stahl aus Kanada, und das US-Handelsdefizit stieg sogar. Das war der "große Deal".
Logik Fehlanzeige
Und jetzt? Der Rest der Welt bekommt eine "Dispens" für 90 Tage. Besonders pikant: Diese Entscheidung kam nur einen Tag nach einem offiziellen Dementi. Lässt dies auf Verhandlungsbereitschaft Washingtons schließen? Wohl eher auf einen panischen Kurswechsel. Wie sonst lässt sich erklären, dass man zunächst der EU, Südkorea, Japan und anderen droht -und dann plötzlich Allen Bedenkzeit für ihre "Sünden" gewährt? Warum nur 125%? Warum nicht gleich 500 oder 1.000%? Hier geht es nicht um Logik, sondern um Show. Und Trump versucht als Showman einmal mehr, eine Katastrophe als Triumph zu verkaufen. Stellt sich die Frage, ob er sein Publikum mit solchen Volten noch begeistern kann?
Der neueste Schritt ist ein Paradebeispiel für den Protektionismus des 19. Jahrhunderts - verpackt in eine rote MAGA-Kappe - Make America Great Again. Die Realität: Amerikanische Verbraucher zahlen mehr, amerikanische Exporteure geraten unter Druck, und die Weltwirtschaft beginnt erneut zu wanken. Trump wird es auf seinem Kanal Truth-Social trotzdem als Sieg verkaufen - für jene, die der Realität ohnehin überdrüssig sind.
Strategie statt Spektakel
Angesichts der Zollwelle von der anderen Seite des Atlantiks bewahrte die Europäische Kommission bemerkenswerte Ruhe. Anstatt emotional zu reagieren und mit einer neuen Zollrunde zu kontern, setzte sie auf Dialog, Konsultationen und Koordination mit Handelspartnern. Eine überlegte und vorausschauende Reaktion - ein Beweis dafür, dass die EU protektionistischen Exzessen begegnen kann, ohne die Spannungen weiter anzuheizen. Europa will keinen Handelskrieg - es will fairen Wettbewerb und vorhersehbare Regeln. Diese Haltung verdient Anerkennung.
Was die Welt jetzt braucht, sind weniger Tweets und mehr Verträge. Deshalb haben Maßnahmen wie der Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens strategische Bedeutung. Das Abkommen würde nicht nur neue Märkte für europäische Unternehmen öffnen, sondern auch ökologische und soziale Standards fördern. Ebenso wichtig ist die fortgesetzte Integration der Ukraine in die Europäische Union - als Antwort auf globale Instabilität und als Signal, dass Europa Populisten und Autokraten nicht das Feld überlassen wird. Es geht nicht um Zölle, sondern um Strategie, Partnerschaft und Berechenbarkeit. Heutzutage sind das die wahren Stärken globaler Akteure.
Das Ende der Illusion?
Das tatsächliche Ausmaß der Folgen von Trumps Gebaren lässt sich noch nicht beziffern. Zölle sind Steuern - nicht nur für China, sondern für US-amerikanische Unternehmen und Verbraucher. Die Inflation zieht bereits an. Ökonomen bemühen sich, die Zusatzkosten für Otto-Normalamerikaner zu berechnen - doch selbst sie kommen mit der Geschwindigkeit der Zolländerungen kaum noch hinterher.
Und das alles in einem Land, das angeblich für den "freien Handel" eintritt. In Wahrheit hat Trump dabei nicht nur internationales Handelsrecht missachtet, sondern auch die verfassungsmäßigen Grenzen seiner Macht ignoriert. Er nutzte bereitwillig den Trade Expansion Act von 1962 - eigentlich zur Wahrung der nationalen Sicherheit gedacht -, um persönliche Launen und Eitelkeiten zu bedienen.
Bedeutet die Pause von 90 Tagen ein stilles Auslaufen des Zollspektakels? Es sieht ganz danach aus. Trump fürchtet offenbar nicht nur die Reaktion der Märkte, sondern auch weitere Umsatzverluste aufseiten der Industrie und der Landwirtschaft im eigenen Land. Vielleicht erkennt sogar er, dass sich diese Farce nicht länger als Erfolg verkaufen lässt. Ist das das Ende des Mythos von Trump als "Deal-Maker"? Gut möglich. Denn anders als jubelnde Wahlkampf-Fans können Konsumenten, Börsianer und Landwirte rechnen. Und die Zölle, die einst als Waffe gedacht waren, kehren nun als Bumerang zurück - mit voller Wucht. AgE